Schutz vor Gefahren: Wie ADRA Helferinnen und Helfer vorbereitet
Mehr weltweite Konflikte, mehr humanitäre Einsätze. Und immer mehr Helferinnen und Helfer, die vor Ort zur Zielscheibe werden. Warum geraten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihren Einsätzen zunehmend in Gefahr und was tun Hilfsorganisationen dagegen? Lukas Driedger (Foto), Abteilungsleiter Internationale Zusammenarbeit, gibt im Interview spannende Einblicke in seine Arbeit.
Lukas Driedger
Abteilungsleiter Internationale Zusammenarbeit
- ADRA Deutschland: Herr Driedger, Sie sind auch Sicherheitsberater bei ADRA und organisieren Sicherheitstrainings für ihre Kolleginnen und Kollegen in Hochrisikogebieten. Wie bereitet man Helferinnen und Helfer für den Ernstfall vor?
- Lukas Driedger: Der höchste Standard bei der Vorbereitung auf Einsätze in Hochrisikogebieten ist das sogenannte HEAT-Training. HEAT steht für Hostile Environment Awareness Training. Dieses Training zielt darauf ab, das Bewusstsein für potenziell gefährliche Situationen im Einsatz zu schärfen, und es vermittelt Techniken und Hilfsmittel, um die Herausforderungen dieser Situationen zu meistern.
- ADRA Deutschland: Können Sie uns Beispiele geben?
- Lukas Driedger: Ein Element davon sind beispielsweise Erste-Hilfe-Trainings – und die sind natürlich nicht das, was man hierzulande von seiner Führerscheinprüfung kennt, sondern ähnlich wie beim Militär: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen Schusswunden abzubinden oder Verletzte auf improvisierten Tragen zum nächsten Gesundheitsposten zu bringen. Auch psychologische Aspekte spielen eine wichtige Rolle: In Simulationen und Rollenspielen lernt man, sich selbst und die Lage einzuschätzen, übt sinnvolle Verhaltensweisen für Gefahrensituationen ein und probt so den Ernstfall: Wie verhalte ich mich, wenn mich jemand mit einer Waffe bedroht?
Bevor es dann raus ins Feld geht, ist situative Gefahrenprävention elementar. Zum Beispiel ist in einem Erdbebengebiet wie aktuell in der Türkei ein safety assessement nötig: Sind Nachbeben zu erwarten? Sind Straßen befahrbar? Bei einem Einsatz in einem Land wie Syrien dagegen geht es um ganz andere Fragen: Wie verhalte ich mich an einem Checkpoint von Milizen oder Militärs? Wichtig ist auch situational awareness zu trainieren, das heißt unter Stress sein Umfeld im Blick zu behalten, auf Kleinigkeiten zu achten, Gefahren zu erkennen. - ADRA Deutschland: Was erhöht noch die Sicherheit von Helferinnen und Helfern vor Ort?
- Lukas Driedger: Neben den Trainings ist die Akzeptanz unserer Arbeit bei den lokalen Akteuren zentral. Es ist die beste Vorkehrung, wenn die Menschen darauf vertrauen, dass wir keine Konfliktpartei, sondern neutral sind. Dazu rufen wir auch schon mal vor einem Hilfseinsatz bei einem Dorfältesten an und sondieren die Lage vor Ort. Die zweite Stufe ist dann Schutz. Dazu zählen alle Maßnahmen zur Risikominimierung. Das können Zäune und vergitterte Fenster in unseren Büros sein, schusssichere Westen und Fahrzeuge. Die dritte Stufe wäre Abschreckung: Helferinnen und Helfer bewegen sich dann beispielsweise nur mit Polizei-Eskorten fort.
- ADRA Deutschland: Es gibt auch Regionen, in die Sie gar nicht reingehen?
- Lukas Driedger: Ja, wir tragen schließlich Verantwortung für unsere Mitarbeitenden. In bestimmte Regionen in Somalia, wo nichtstaatliche bewaffnete Akteure eine zu große Gefahr darstellen, können wir nicht hin, ohne Leib und Leben zu riskieren. Auch in den russisch kontrollierten Regionen in der Ukraine waren wir nur in kleinem Rahmen und möglichst unauffällig aktiv.
- ADRA Deutschland: Wie sichern Sie Hilfsgütertransporte in Risikogebieten?
- Lukas Driedger: Da gibt es zwei Möglichkeiten. Nach dem bereits erwähnten Prinzip Akzeptanz, Schutz und Abschreckung fahren wir Hilfstransporte in Begleitung militärisch geschützter Konvois, die zum Beispiel ein Camp ansteuern. Und es gibt auch genau das Gegenteil: Wir machen uns möglichst unsichtbar. In letzterem Fall haben wir kein Logo auf den Fahrzeugen und verwenden alte, klapprige, unauffällige Kleinbusse. Als ich im Sudan tätig war, haben wir sogar die schönen neuen Landrover mit Schmirgelpapier bearbeitet, um ihnen einen gebrauchten, unauffälligen Look zu verpassen. Und im Jemen, wo die Gefahr von Entführungen groß ist, war ich in Sanaa unauffällig im Taxi unterwegs – ich hatte eine Handvoll Taxifahrer, denen ich vertrauen konnte.
- ADRA Deutschland: Zunehmend übernehmen lokale Partner die humanitäre Hilfe vor Ort. Wie stehen Sie dazu?
- Lukas Driedger: Das stimmt, vor Ort sind immer häufiger lokale Partner tätig. Mit Blick auf die Bestrebungen zur Lokalisierung der humanitären Hilfe ist das gut. Lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen sich am besten vor Ort aus, fallen weniger auf und können sich dadurch sicherer bewegen. Das Problem dabei ist, dass wir – also die westlichen Hilfsorganisationen – auf diese Weise ein Stück weit auch Risiken auslagern: an lokale Hilfskräfte, die oft gar nicht die Wahl haben, woanders zu arbeiten als dort, wo sie zu Hause und verwurzelt sind. Das ist eine schwierige ethische Debatte, die aktuell geführt wird.
- ADRA Deutschland: Wie kommt es, dass humanitäre Helferinnen und Helfer zunehmend zur Zielscheibe von Angriffen werden?
- Lukas Driedger: Zunächst einmal ist die Zahl humanitärer Einsätze gestiegen, und damit auch die Zahl toter und verletzter Helferinnen und Helfer. Hinzu kommt, dass einige Konfliktparteien Mitarbeitenden von Hilfsorganisationen zunehmend die Neutralität absprechen, die zu den Grundpfeilern der humanitären Hilfe gehört. Es gibt immer mehr stark ideologisch aufgeladene Konflikte, in denen Hilfe für die andere Seite schnell als Provokation wahrgenommen wird.
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