Fluchtroute Mittelmeer: Menschlichkeit über Bord
Am 30.07. ist Tag der Seenotretter
Die Seenotrettungsorganisation SOS Humanity ist mit dem Rettungsschiff Humanity 1 im Mittelmeer im Einsatz – getragen von der Zivilgesellschaft.
Das zentrale Mittelmeer ist die tödlichste Fluchtroute der Welt. Im ersten Halbjahr 2023 sind hier bereits über 1.800 Menschen bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, ertrunken. Die Männer, Frauen und Kinder auf den seeuntauglichen, deutlich überbesetzten Booten verschwinden häufig unbeobachtet in den Wellen – die Dunkelziffer ist somit deutlich höher. Wer die riskante Überfahrt über das zentrale Mittelmeer aus Libyen wagt, ist meistens vor Krieg, Verfolgung, Hunger oder Perspektivlosigkeit geflohen. Seit Monaten fliehen verstärkt Migrantinnen und Migranten vor gewaltsamen Übergriffen aus Tunesien, in dünnen Metallbooten und ohne Rettungswesten sind auch sie in Seenot.
Zivile Seenotrettungsorganisationen versuchen seit acht Jahren vor allem da zu retten, wo es sonst niemand tut: auf der stark befahrenen Fluchtroute zwischen Libyen, Italien und Malta. Vor allem hier ist SOS Humanity mit dem Rettungsschiff Humanity 1 im Einsatz. Seit der Taufe des Schiffes im August 2022 bis Juli 2023 hat die Crew, die zum Teil aus Ehrenamtlichen besteht, 1.445 Menschen aus Seenot gerettet. Rund ein Drittel von ihnen waren minderjährig, die meisten unbegleitet auf der Flucht. Seit dem ersten Einsatz 2016 haben wir über 36.000 Menschen aus Seenot gerettet und an einen sicheren Ort gebracht.
Rettungseinsätze werden erschwert
Außer den zivilen Rettungsschiffen ist in diesem riesigen Seegebiet nur die sogenannte libysche Küstenwache aktiv, finanziert von der EU und Italien. Doch sie fängt die schutzsuchenden Menschen ab und bringt sie gewaltsam und widerrechtlich zurück nach Libyen, wo ihnen Inhaftierung, Gewalt und massive Menschenrechtsverletzungen drohen. Von dort versuchen die Verzweifelten wieder und wieder die Flucht nach Europa, wie Erfahrungsberichte von Geretteten belegen.
Den zivilen Seenotrettungsorganisationen wie SOS Humanity wird von den Behörden die Arbeit erschwert. So weist Italien seit Januar 2023 systematisch weit entfernte Häfen zu, um die Schiffe aus dem Rettungsgebiet fernzuhalten. Die dringend benötigten Schiffe werden häufig festgesetzt und ihre Crew kriminalisiert.
Unterstützung durch die Zivilgesellschaft
Trotz aller Schwierigkeiten, auch der finanziellen durch zuletzt stark gestiegene Kosten, werden wir unsere Rettungen fortsetzen. SOS Humanity hat sich zum Ziel gesetzt, dass kein Mensch mehr auf der Flucht ertrinken muss und jeder mit Würde behandelt wird. Wir hoffen, dass wir weiterhin die notwendige Unterstützung aus der Zivilgesellschaft hierfür erhalten. Bei SOS Humanity sind wir sehr dankbar, dass ADRA unsere lebensrettende Arbeit unterstützt.
Autorin: Petra Krischok
Pressesprecherin und Referentin Öffentlichkeitsarbeit
von SOS Humanity
FAQs Seenotrettung
Warum engagiert sich ADRA für die Seenotrettung im Mittelmeer?
Niemand wird freiwillig Flüchtling. Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen, tun dies aufgrund großer humanitärer Krisen. In der Hoffnung auf ein Leben ohne Krieg und Gewalt, Hunger und Armut nehmen Frauen, Männer und Kinder teils lebensgefährliche Fluchtwege auf sich.
Als christliche Hilfsorganisation haben wir einen humanitären Auftrag und können die Situation im Mittelmeer nicht ignorieren. In den letzten zehn Jahren sind über 25.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Die zivilen Seenotrettungsorganisationen handeln nach internationalem Seerecht. Dieses besagt, dass Schiffbrüchige gerettet und in den nächsten sicheren Hafen zu bringen sind.
Woher kommen die Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa flüchten?
Die meisten Kinder, Frauen und Männer, die 2018 über das Mittelmeer nach Europa geflohen sind, stammen aus Afghanistan, Syrien und Marokko sowie aus Guinea, dem Irak, Palästina, Mali oder der Demokratischen Republik Kongo. Für unseren humanitären Ansatz ist die Herkunft der Menschen jedoch unwichtig. Wir handeln, um Leid zu verhindern bzw. zu verringern, unabhängig von Religion, Weltanschauung, Geschlecht, Alter oder Nationalität.
Ist die organisierte Seenotrettung nicht auch ein Anreiz, die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer zu wagen?
Nicht die Seenotrettung ist dafür verantwortlich, dass Menschen fliehen. Kriege, Unterdrückung, Hunger, Armut und zunehmend auch der Klimawandel sind die Ursachen dafür, dass sich Menschen auf die lebensgefährliche Flucht begeben.
Mehrere Studien – darunter eine der Universität Oxford – belegen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Präsenz ziviler Seenotretter im Mittelmeer und der Zahl der Flüchtenden gibt. Im Gegenteil: Weniger Rettungsschiffe führen nicht zu weniger Flüchtlingen, sondern zu mehr Menschen, die auf der Flucht in Seenot geraten und sterben.
Warum werden die Menschen nach Europa gebracht und nicht zurück in ihre Heimat?
Nach internationalem Seerecht müssen Menschen nicht nur aus Seenot gerettet, sondern auch an einen sicheren Ort gebracht werden. Das bedeutet, dass den Menschen dort keine Verfolgung drohen darf und sie mit lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung versorgt werden. Nicht alle Staaten an der nordafrikanischen Küste erfüllen diese Kriterien.
Unterstützt die zivile Seenotrettung ungewollt Schlepperbanden?
Um in Sicherheit zu leben, versuchen viele Menschen trotz der Risiken über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen. Schlepperbanden schlagen aus der Not und Hoffnung dieser Menschen Kapital. Sie setzen die Menschen bewusst in seeuntüchtigen Booten den Gefahren des Mittelmeeres aus.
Ob Rettungsschiffe im Einsatz sind oder nicht, spielt für diese Schlepperbanden keine Rolle. Die Seenotretter hingegen verhindern durch ihre Präsenz, dass viele Menschen in Seenot geraten und sterben. Sie retten Menschen vor dem Ertrinken.
Wie unterstützt ADRA die zivile Seenotrettung von SOS Humanity im Mittelmeer?
SOS Humanity ist ein gemeinnütziger Verein und finanziert sich ausschließlich durch Spenden. ADRA Deutschland e.V. unterstützt den Verein finanziell und politisch. Für die politische Unterstützung nutzen wir unsere Kontakte in Politik und Zivilgesellschaft, um Aufmerksamkeit auf die zivile Seenotrettung zu lenken. Insbesondere die Finanzierung durch öffentliche Gelder sowie die politische Legitimation als humanitärer Akteur sind uns ein Anliegen.
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