Mitarbeiter von ADRA im Gespräch mit einer Gruppe von Menschen in traditioneller Kleidung im Sudan.

Sudan: Warum mentale Gesundheit Leben rettet

Schüsse in der Nacht

Ich schre­cke hoch aus dem Schlaf und muss nicht lan­ge über­le­gen, was mich geweckt hat. Es waren Schüsse – aus ver­schie­de­nen Richtungen, nicht weit ent­fernt, den­ke ich. Aber sicher bin ich mir nicht, es ist schließ­lich mei­ne ers­te Nacht als jun­ger Helfer in einem akti­ven Kriegsgebiet.  

Die Situation ent­spannt sich als ich drau­ßen vor der Tür einen Kollegen ent­lang gehen höre. Er ver­si­chert mir, dass es nur die Patrouillen der suda­ne­si­schen Armee sei­en, die in und um die Stadt ihre Runden dre­hen und sich manch­mal unter­ein­an­der mit Gewehrsalven Zeichen geben oder Zielübungen machen. Wenn es etwas Ernstes wäre, betont er, dann hät­ten wir es schon gemerkt. Wir gehen wie­der schla­fen. Also der Kollege geht schla­fen. Ich sit­ze die nächs­ten Stunden auf der Bettkante und mein Körper weiß nicht, ob die­ser Erklärung zu trau­en ist.  

Menschen gewöh­nen sich an vie­les. Sie sind resi­li­ent und schaf­fen es, trotz größ­ter Widrigkeiten, zu über­le­ben, jeden Morgen auf­zu­ste­hen und sich über etwas zu freu­en. Dementsprechend gewöh­ne auch ich mich an die neu­en Umstände. Und über die Jahre in die­sem Beruf wer­den sich sol­che Situationen wie­der­ho­len; in ande­ren Ländern, unter ande­ren Umständen, manch­mal auch gefähr­li­cher als die­se ers­te Nacht in Darfur, aber glück­li­cher­wei­se immer mit einem guten Ausgang – zumin­dest für mich. Ich fin­de einen Umgang mit dem Gefühl von Unsicherheit und manch­mal Angst. So wie auch die meis­ten Menschen, die in Kriegsgebieten woh­nen, irgend­wie einen Umgang damit fin­den. Und doch ver­än­dert es einen, auf die ein oder ande­re Art, je län­ger man Gewalt, Leid und Tod aus­ge­setzt ist.  

Programme zur Bewältigung von Schocks und Traumata sind inzwi­schen selbst­ver­ständ­li­cher Teil der huma­ni­tä­ren Hilfe gewor­den. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ – men­ta­le Gesundheit und ein Stück Hoffnung sind die Grundvoraussetzung für die Bewältigung des Alltags, um die nöti­ge Energie auf­zu­brin­gen, wei­ter­zu­ma­chen, sich um sich selbst und um sei­ne Freunde und Familie zu küm­mern. Richtiger Wiederaufbau kann nur dann gelin­gen, wenn die Menschen nach einem Krieg nicht inner­lich kom­plett zer­stört sind. 

Dieses Argument leuch­tet den meis­ten ein. Doch wäh­rend Kriege und Konflikte zuneh­men und schein­bar selbst­ver­ständ­li­cher wer­den, ist es huma­ni­tä­re Hilfe zuletzt nicht mehr. Sie sei zu kom­plex gewor­den, inef­fi­zi­ent, hört man so man­che kri­ti­schen Stimmen sagen. Und ja, huma­ni­tä­re Hilfe – vor allem in einem Kriegsgebiet – ist kom­pli­ziert. Und das muss sie auch sein: Von der Personalsicherheit über Logistikketten, Verhandlungen mit Konfliktparteien, um den Zugang zu betrof­fe­nen Menschen; über die Planung von Bedarfen und Aktivitäten, Verteilung von Hilfsgütern oder lebens­ret­ten­den Dienstleistungen bis hin zum ver­ant­wor­tungs­vol­len Umgang mit den anver­trau­ten Spendengeldern in Form von Monitoring, Berichtswesen und Verwaltung. Es muss vie­les bedacht, berück­sich­tigt und mög­lichst rich­tig ein­ge­schätzt wer­den, damit am Ende wert­vol­le Spenden effi­zi­ent, effek­tiv und ange­mes­sen auf die tat­säch­li­chen Bedürfnisse der lei­den­den Menschen vor Ort ein­ge­setzt wer­den.  

Und auch wenn zuletzt die­je­ni­gen lau­ter wer­den, die die­ses huma­ni­tä­re System in Frage stel­len und behaup­ten, man kön­ne doch ganz ein­fach, direkt und ohne Plan und Verwaltung hel­fen. Oder sogar gar nicht. Glaubt die­sen Stimmen bit­te nicht, lie­be Leserinnen und lie­be Leser. Es gibt sel­ten ein­fa­che Antworten auf schwie­ri­ge Fragen. Schon gar nicht auf die Frage, wie man in lang­an­hal­ten­den, bru­ta­len, chao­ti­schen Kriegen eine Zivilbevölkerung phy­sisch, aber auch men­tal am Leben erhält, Menschen ein Mindestmaß an Würde ermög­licht und sie in ihrer Hoffnung auf eine bes­se­re Zukunft unter­stützt. Humanitäre Hilfe ist wert­voll. Sie ist wich­tig. Und sie braucht, nicht zuletzt, auch Eure Unterstützung.  

Lukas Driedger, Abteilungsleiter Internationale Zusammenarbeit bei ADRA Deutschland

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