Anfang Mai 2015 gründete der Kapitän Klaus Vogel in Berlin die Seenotrettungsorganisation SOS Humanity, anfangs unter dem Namen SOS Mediterranee. Seit dem Jahr 2016 hat die Seenotrettungsorganisation viel erreicht und konnte bis Anfang 2025 bereits über 38.500 Menschen, die über das Mittelmeer gen Europa flüchteten, vor dem Ertrinken retten. Die Geretteten werden an Bord der Humanity 1 medizinisch und psychologisch versorgt und zu einem sicheren Ort an Land gebracht. Mit ihren zehn Jahren Erfahrung arbeitet die Seenotrettungsorganisation äußerst professionell.
Dokumentation von Schicksalen der Überlebenden
Doch SOS Humanity erfüllt dabei parallel eine weitere wichtige Aufgabe. Mit der Aufzeichnung von Schicksalen Überlebender und den Beobachtungen der Crew dokumentiert SOS Humanity die fortlaufenden Menschenrechtsverletzungen auf dem Mittelmeer. Dies, um über diese Zustände aufzuklären und sich für einen dringend nötigen politischen Wandel im Umgang mit Menschen auf der Flucht einzusetzen. Menschenrechtsverletzungen von teilweise kaum vorstellbarem Ausmaß, die durch europäische Externalisierungspolitik begünstigt, ja erst ermöglicht werden.
SOS Humanity hat zwischen Oktober 2022 und August 2024 Aussagen und Schilderungen von insgesamt 64 Überlebenden gesammelt. Die Augenzeugenberichte der 64 Überlebenden geben detaillierte Einblicke in das, was sie in Libyen oder Tunesien erlebt haben. Die Menschen berichteten von rassistischer, sexistischer und religiöser Diskriminierung und Verfolgung. Von der Verweigerung von Grundrechten, ja sogar moderner Sklaverei, Folter sowie körperlicher und sexualisierter Gewalt. In Libyen wurden fast alle Überlebenden willkürlich inhaftiert und unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten. Sie berichteten von Hunger, mangelnder medizinischer Hilfe und Massenhinrichtungen. Viele wurden zudem als Sklaven verkauft und Opfer von Menschenhandel.
Häufig wurden diese Menschenrechtsverletzungen nicht nur von staatlichen Akteuren geduldet, sondern vielmehr sogar von Militär und Polizeikräften oder von den durch die EU finanzierten sogenannten lybischen Küstenwachen begangen. All diese Berichte haben eines gemeinsam. Sie zeigen, dass die europäische Mitverantwortung eindeutig belegt ist. Belegt als Auswirkungen einer Politik der Externalisierung, die die Grenzkontrollen auslagert und die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz an Drittländer überträgt. An Drittländer wie eben Libyen oder Tunesien.
Zu dieser EU-Politik gehören der Aufbau und die Stärkung libyscher und tunesischer Such- und Rettungszonen und Rettungsleitstellen und der sogenannten libyschen und tunesischen Küstenwache. Doch diese Institutionen und Akteure sind gefährlich, tödlich und in Teilen dysfunktional. Mehr noch, sie haben oft enge Verbindungen zu genau den Schmugglern und Milizen, die die EU und ihre Mitgliedstaaten bekämpfen wollen. Zudem zwingen sie Schutzsuchende unter Verstoß gegen das Völkerrecht zurück in die Länder, aus denen sie fliehen. Ihnen den Status offizieller Seenotrettungsorgane zu verleihen ist irreführend. Denn ihre Arbeit ähnelt eher der von organisierten kriminellen Netzwerken und führt täglich direkt oder indirekt zu Todesfällen und Menschenrechtsverletzungen.
Gewaltsame Rückführungen oder Ertrinken
SOS Humanity stellt auch auf dem zentralen Mittelmeer eine ähnlich erschreckende Lage fest. So berichten Überlebende von gewaltsamen Rückführungen durch die sogenannte libysche und die tunesische Küstenwache. Sie schildern Gewalt auf See. Gewalt in Form von Schlägen und Schüssen oder sexualisierter Gewalt. Nicht selten werden ohnehin seeuntüchtige Boote gezielt zum Kentern gebracht und die Insassen dann dem Tod durch Ertrinken überlassen. Einige sind aus Angst, nach Libyen oder Tunesien zurückgezwungen zu werden, ins Meer gesprungen.
Die Überlebenden erzählten, dass die europäischen Institutionen es versäumten, sie zu retten oder Rettungseinsätze zu koordinieren. Stattdessen trügen diese Stellen dazu bei, dass die sogenannte tunesische und libysche Küstenwache sie abfangen konnten.
EU darf Seenotrettung nicht mehr an Libyen und Tunesien delegieren
SOS Humanity richtet die dringende Forderung an die EU und ihre Mitgliedstaaten und vor allem auch an die neue deutsche Bundesregierung. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen ihrer Pflicht zur Rettung von Menschenleben auf See nachkommen. Sie müssen internationales Seerecht einhalten, das die Rettung aus Seenot vorschreibt. Vor allem muss die EU jede Zusammenarbeit mit Tunesien und Libyen beenden und damit der Verletzung und Einschränkung der Rechte von Schutzsuchenden Einhalt gebieten. Es braucht ein europäisch finanziertes und koordiniertes Seenotrettungsprogramm, das Menschlichkeit an die Außengrenze zurückbringt und das Leben von Menschen auf der Flucht schützt.
ADRA fordert Einhaltung von Seerecht und Völkerrecht
ADRA Deutschland e.V. unterstützt diese Forderung und betont: Das internationale Seerecht verpflichtet Schiffe überall auf See dazu, Menschen, die in Seenot geraten sind, Hilfe zu leisten. Seenotrettung ist dabei nicht nur als menschliche Pflicht in der maritimen Tradition verankert. Seenotrettung ist Völkerrecht und damit auch für Staaten politisch bindend! So regeln gleich drei völkerrechtliche Abkommen die Koordinierung und Durchführung der Seenotrettung: Zunächst das Internationale Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS, 1974), das Internationale Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See (SAR, 1979) und das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ, 1982). Die Rettung endet rechtlich erst, wenn die Überlebenden an einem sicheren Ort an Land gehen können. All das ist in der aktuellen Regelung und Praxis nicht gegeben, ja fast ad absurdum geführt und muss enden.
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stehen zudem sowohl durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, 1950) als auch die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, 1951) in der Pflicht dafür zu sorgen, dass Menschen nicht in einen Staat mit prekärer Menschenrechtslage zurückgebracht werden dürfen. Dieses „Nichtzurückweisungsgebot“ wird durch die aktuelle Praxis verletzt.
Ihre Spende unterstützt Menschen in Seenot
Seit 2016 unterstützt ADRA Deutschland e.V. SOS Humanity bei der Rettung von Menschen auf der Flucht aus Seenot. Ihre Spende kann Leben auch auf dem Mittelmeer retten. Spenden können Sie auf das Spendenkonto IBAN DE36 3702 0500 0007 7040 00 oder unter adra.de/spenden.